1. Wie bewerten Sie den vorliegenden Gesetzentwurf und welche Auswirkungen erwarten Sie?

Änderung des Thüringer Archivgesetzes

Entwurf vom 01. Februar 2016
Eingebracht durch Landesregierung
Federführender Ausschuss Ausschuss für Europa, Kultur und Medien
6
Die Diskussion ist seit dem 29.04.2016 archiviert

Zurzeit befindet sich der Gesetzentwurf der Landesregierung zum Ersten Gesetz zur Änderung des Thüringer Archivgesetzes vom 1. Februar 2016 (Drucksachen 6/1713) in der parlamentarischen Diskussion. Nachfolgend finden Sie die Fragen, mit denen sich der Ausschuss für Europa, Kultur und Medien derzeit befasst. Sie können Ihre Meinung zu den Fragen abgeben. Mit Ihren Beiträgen, Ihren Erläuterungen oder Ihrer Kritik können Sie Einfluss auf die Arbeit des Ausschusses für Europa, Kultur und Medien nehmen.

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1. Wie bewerten Sie den vorliegenden Gesetzentwurf und welche Auswirkungen erwarten Sie?

30. April 2016 | Diskussion Thüringen
keine Auswirkungen

Ich erwarte keine Auswirkungen.

27. April 2016 | Dr. Anja Kürbis
Scheindiskussion

Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Landesregierung

Erstes Gesetz zur Änderung des Thüringer Archivgesetzes vom 01.02.2016

Das Thüringer Archivgesetz entstand im Jahr 1992 und erfuhr marginale Änderungen im Jahr 2008.

Inhalt: Der vorliegende Entwurf steht im Kontext der Reform der Thüringer Landesverwaltung und sieht die Zusammenlegung der sechs selbständigen Thüringer Staatsarchive zu einem Landesarchiv Thüringen vor. Ziel dieser Reformmaßnahme ist die Erwartung einer „effizienteren und einheitlichen Arbeitsweise in der staatlichen Archivverwaltung“. Die Staatsarchive werden zu Abteilungen des Landesarchivs, die jeweiligen Leiter zu Abteilungsleitern. Die konkrete Ausgestaltung der Struktur und Organisation wird in einer Geschäftsordnung geregelt werden.

Kommentar: Das derzeit rechtskräftige Thüringer Archivgesetz berücksichtigt nur sehr allgemein die Anforderungen des digitalen Zeitalters, der zunehmenden Informationsfreiheit im Verbund mit einem erhöhten Datenschutz. Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf ist vorerst die Chance vertan, ein modernes Archivgesetz für Thüringen auf den Weg zu bringen. Erfahrungsgemäß werden Gesetze nicht permanent erneuert. Ein modernes Archivgesetz wird also noch lange auf sich warten lassen.

Welche Auswirkungen die im vorliegenden Entwurf vorgesehene Umstrukturierung konkret mit sich bringen wird, ist ohne Möglichkeit der Einsichtnahme in die erwähnte Geschäftsordnung für Außenstehende nicht einschätzbar. So z.B. welchen Stellenwert dabei das Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar gegenüber den anderen Landesarchivabteilungen einnehmen wird. Oder, welche Folgen die Strukturänderung auf die Selbständigkeit der Abteilungen in Hinblick auf die Forschung und archivische Öffentlichkeitsarbeit hat. Müssen die Forschungsthemen vom künftigen Leiter des Landesarchivs abgesegnet werden? Werden Themen entsprechend den jeweils aktuellen Vorstellungen der Landesregierung, z.B. Arbeiterbewegung und Industrialisierung, vorgegeben? Werden Projektstellen dann ausschließlich in Weimar angesiedelt sein? All dies sind Fragen, auf die der Entwurf keine Antwort gibt, sondern lediglich auf die Geschäftsordnung verweist. Diese kann sich als Trojanisches Pferd, als eine Art Ermächtigungsgesetz oder eben auch als Glücksfall erweisen.
Zudem: Es ist nicht begründet, ob und in wie fern sich aus dieser Veränderung eine effizientere Arbeitsweise ergibt. Effizienz kann sich nicht allein in der Einsparung von Personalkosten niederschlagen. Längere Verwaltungs- und Entscheidungswege würden dem z.B. entgegen stehen. Die Formulierung der „effizienteren“ Arbeitsweise unterstellt m.E. den Archivaren eine gewisse Ineffizienz. Worauf basiert diese Bewertung? Gibt es hier Prüfungen des Landesrechnungshofes? Auch hier fehlen die Informationen. Es ist unbegründete Annahme, die mit einer Erwartung verbunden wird. Beides ohne Unterfütterung mit Zahlen und Fakten.

Dem vorliegenden Entwurf geht es nicht um das Thüringer Archivwesen, sondern um eine Verwaltungsreform. Ich betrachte mit Sorge die Zentralisierung wissenschaftlicher und kultureller Einrichtungen in Thüringen (Museen, Bibliotheken). Beides, Wissenschaft und Kultur lebt von der Vielfalt, vom Austausch und vom konstruktiven Streit und ist darüber hinaus Thüringens wichtigste Ressource. Reformen, bei denen ausschließlich Einheitlichkeit und Effizienz im Vordergrund stehen, lassen dies unberücksichtigt.

Mir als Außenstehende ist es angesichts der fehlenden Geschäftsordnung nicht möglich, selbst diesen Änderungsentwurf beurteilen zu können. Dies bleibt dem internen Austausch der Mitarbeiter des neuen Landesarchivs vorbehalten. Daher halte ich die öffentliche Diskussion für eine Scheindiskussion. Die Neustrukturierung der Staatsarchive kann ebenso gut in ein Archivgesetz integriert werden, das seinen Namen auch verdient. Daher kann ich aufgrund meines derzeitigen Kenntnisstandes den Entwurf nicht befürworten.

Dr. Anja Kürbis
Leiterin des Ilmenauer Universitätsarchivs
Ilmenau, den 26.04.2016

16. April 2016 | Diskussion Thüringen
Auswirkung

Ich finden den die Gesetzentwurf in Ordnung.

09. April 2016 | ArchivWahl
Quo vadis thüringisches Landesarchivwesen?

Das eingerichtete Diskussionsforum des Thüringer Landtags zur „Änderung des Thüringer Archivgesetzes“ bietet die Gelegenheit, den mit dieser Thematik befassten Landtagsausschuss für Europa, Kultur und Medien und die Öffentlichkeit auf zu überdenkende Probleme in dieser Angelegenheit hinzuweisen. Meine Wortmeldung geschieht völlig unabhängig, ohne Absprache mit den betroffenen Archiven und stellt meine persönliche Meinung „außer Dienst“ dar.

Als vor zwei Jahren das „Reformkonzept 2020“ der Landesverwaltung mit dem unsinnigen Vorschlag der „Behördenkonzentration“ durch Errichtung eines „Landesamtes für Archivverwaltung, Denkmalpflege und Archäologie“ bekannt wurde, gab es gegen diese Form der Zusammenlegung von zwei bislang organisatorisch und personell selbstständigen Behörden Widerstand und ein Presseecho, in dem ich mich durch einen Leserbrief in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 12. März 2014 “Wegdekretieren in Weimar“ (als Reaktion auf einen dort zuvor erschienenen redaktionellen Beitrag „Archiväologie. Thüringische Fächerkombination – kein Witz, sondern ein Plan“ von Rudolf Neumaier am 21. Februar 2014) beteiligt habe. Es hat mir zunächst ferngelegen, mich wieder in Form eines Leserbriefs oder auch durch einen Gastbeitrag in einer Thüringer Regional- bzw. Lokalzeitung zu Wort zu melden, obwohl seit einiger Zeit erneut ein kritisches Presseecho im Hinblick auf die geplanten Veränderungen im Landesarchivwesen zu beobachten ist. Ich bin jedoch für das geschaffene Diskussionsforum des Landtages dankbar, das eine Wortmeldung in der Sache möglich macht und sicher der geeignetere Weg ist, die damit befassten Parlamentarier und Regierungsvertreter zu erreichen.

Die Bewertung der aktuellen Problematik und die erwartete Stellungnahme zur Novellierung des Thüringer Archivgesetzes von 1992 kommen nicht ohne Betrachtung der historischen Entwicklung des thüringischen Landesarchivwesens seit der Landesgründung 1920, nach der Auflösung des Landes 1952 und insbesondere auch der Entwicklung nach der Wiedergründung des Bundeslandes Thüringen 1990 und der gegenwärtigen Verhältnisse im staatlichen Archivwesen des Landes aus. Ich verweise auf meine Überblicksdarstellung in der Fachzeitschrift für das deutsche Archivwesen, die diese Entwicklung mit ihren Problemen und Lösungen bis Mitte der 1990er Jahre nachgezeichnet und vor allem die historische Leistung beim Wiederentstehen eines thüringischen Landesarchivwesens bewertet hat: Volker Wahl, Das staatliche Archivwesen Thüringens. In: Der Archivar. Mitteilungsblatt für deutsches Archivwesen 49 (1996), Heft 4, Spalten 623-644. Dieser historisch-analytisch angelegte Aufsatz endete mit der Feststellung: „Heute ist das Archivwesen des Freistaates Thüringen ein Bestandteil der nationalen Archivorganisation [der BRD], die im föderalen Organisationsprinzip auf der Grundlage der Kulturhoheit der Länder die effiziente Form der Archivverwaltung gefunden hat.“ An dieser Aussage halte ich auch weiterhin fest, weil sie den historischen Tatsachen entspricht und keineswegs überholt ist.

Ich halte aber auch in meiner Vorstellung von einem „passenden“ bzw. „adäquaten“ Landesarchivwesen in Thüringen an der nach der Wiedergründung des Landes geschaffenen und seitdem existierenden Organisationsstruktur des staatlichen Archivwesens fest. Es gibt nach meiner Überzeugung keinen ausreichenden Grund, diese zu ändern, auch wenn der Fortschritt auf dem Gebiet der Kommunikationstechnologien und die dadurch aufgekommenen und sich weiterentwickelnden Veränderungen für die Sicherung und Bewahrung der entstandenen Informationen als Niederschlag des Verwaltungshandelns eine größere Gleichförmigkeit in der Archivarbeit mit sich bringen und eine große Herausforderung für alle Archive darstellen, so dass sich an dieser Stelle eine zentrale Steuerung von übergreifenden archivischen Arbeitsprozessen anbietet. Das setzt aber nicht die weitgehende Umstrukturierung des staatlichen Archivwesens in Thüringen voraus, wie sie geplant ist. Der schon im „Reformkonzept 2020“ enthaltene Vorschlag, die sechs derzeit selbstständigen Staatsarchive in Altenburg, Gotha, Greiz, Meiningen, Rudolstadt und Weimar zu einem „Thüringischen Landesarchiv“ zusammenzulegen, kann vor allem nicht seine Begründung darin finden, dass andere Länder zu einer solchen eindimensionalen Form der Organisation des staatlichen Archivwesens bereits übergegangen sind. Das ist beileibe kein gleichförmiger Prozess gewesen.

Als seinerzeitiger Stellvertretender Vorsitzender (1997-2001) und Vorsitzender (2001-2005) des archivarischen Berufsverbandes in der Bundesrepublik („Verband deutscher Archivarinnen und Archivare“) habe ich diese Entwicklung miterlebt. Sie ist damals von einzelnen Landesarchivverwaltungen (zunächst Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen) ausgegangen, die schon zuvor eine größere zentrale Archivverwaltung als übergeordnete Leitungsebene unterhalb des jeweiligen Fachministeriums unterhielten, von denen aus die staatlichen Archive des jeweiligen Landes dirigiert wurden. Der mit größerer Verwaltungseffizienz begründete Schritt zur Schaffung eines einzigen Landesarchivs, in dem die bisher selbstständigen Staatsarchive nunmehr als Strukturteile einer Archiveinrichtung figurierten, wurde zum Beispiel nicht von der größten deutschen Landesarchivorganisation in Bayern (mit neun Staatsarchiven) mitgegangen, das seine bewährte übergeordnete Leitungsebene (Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns) und die ihr unterstehenden selbstständigen Staatsarchive beibehielt. Für die Entstehungsumstände von Landesarchiven mit Abteilungsgliederung anstelle bisheriger selbstständiger Staatsarchive in nunmehr fünf Bundesländern (Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt) lassen sich in durchaus unterschiedlicher Weise auch Bestrebungen des damit befassten leitenden Archivpersonals auf der eher persönlichen Ebene von Anpassungsdruck, Profilierungssucht und Geltungsbedürfnis (einschließlich des Karrieresprungs zum „Präsidenten“) anführen.

Natürlich lassen sich auch objektive Begründungen für den Schritt, eine bisher bestehende Organisationsstruktur des Landesarchivwesens radikal zu ändern, formulieren. Die Beweggründe für die Archivgesetznovellierung in Thüringen werden im Gesetzentwurf der Landesregierung unter „Problem und Regelungsbedürfnis“ allerdings sehr schwach benannt: „Erwartet werden dabei eine effizientere und einheitliche Arbeitsweise in der staatlichen Archivverwaltung“. Die Begründung bei der Einbringung durch den Staatssekretär in den Landtag am 25. Februar 2016 ist ähnlich unbefriedigend, wenn von ihm lediglich als Ziel genannt wurde, „eine leistungsfähige und effizientere Landesarchivverwaltung zu schaffen“. Entlarvend ist allerdings zum Schluss seiner Ausführungen das gebotene Fazit: „[...] ich denke, damit leistet die Staatskanzlei in ihrer Zuständigkeit einen nicht wahnsinnig riesigen, aber ich sage mal einen kleineren Beitrag zur Modernisierung und Verbesserung der Verwaltungsstruktur, wie es sich die Landesregierung vorgenommen hat.“ Es sind und bleiben bürokratische Zentralisierungsbestrebungen, die am grünen Tisch erdacht worden sind. Das hat das thüringische Landesarchivwesen, das haben die Archivarinnen und Archivare in Thüringen nicht verdient, die nunmehr das aus der Schublade hervorgeholte „blaue Wunder“ erleben sollen.

Das Thüringer Archivgesetz vom 23. April 1992 hat bis auf eine Begriffsänderung im Jahr 2008 allen Anforderungen, die an eine solche gesetzliche Grundlage für die Archivarbeit in den staatlichen Archiven des Landes in dem zurückliegenden Vierteljahrhundert gestellt wurden und werden, Stand gehalten. Es war das erste Archivgesetz eines neuen Bundeslandes und hatte durchaus Vorbildcharakter, selbst für alte Bundesländer, denn es gab zu Anfang der 1990er Jahre noch nicht in allen Bundesländern Archivgesetze. Das „Thüringer Archivgesetz“ basiert auf einem Entwurf des am 20. Oktober 1990 gegründeten „Thüringer Archivarverbandes“, der im übergeordneten Fachministerium (damals Thüringer Ministerium für Wissenschaft und Kunst) den notwendigen rechtsförmlichen Prüfungen unterzogen und zur Gesetzesvorlage qualifiziert wurde. Von Anfang an bestand ein Grundkonsens zwischen dem zuständigen Fachministerium, den betroffenen Archiveinrichtungen und dem Thüringer Archivarverband als berufsständischer Vertretung der Archivarinnen und Archive in dem neuen Bundesland Thüringen, keine besondere Landesarchivverwaltung als Mittelbehörde zu schaffen, sondern lediglich im Ministerium ein Aufsichtsreferat einzurichten und mit einem fachlich ausgebildeten wissenschaftlichen Archivar zu besetzen. Das wurde am 1. März 1991 realisiert.

Die gedeihliche Zusammenarbeit der Staatsarchive untereinander und mit dem Fachministerium wurde konterkariert, als 2002 der bisherige ministerielle Archivreferent abgezogen und durch einen Juristen ersetzt wurde. Das hatte eine schleichende Erosion für die Bedeutung des thüringischen Landesarchivwesens zur Folge, die durch die Eigeninitiative der Archivare etwas abgefedert wurde. Die thüringische Landesarchivverwaltung war zunächst nicht mehr mit einem Facharchivar in der Archivreferentenkonferenz des Bundes und der Länder vertreten. Auch die bisher einberufenen Dienstberatungen des ministeriellen Archivreferenten mit den Archivdirektoren wurden in der bisherigen Form eingestellt, weil ein archivfachlicher Diskurs mit dem fachfremd besetzten Aufsichtsreferat nicht mehr gut möglich war. So bemühten sich die Archivleitungen um eine Art Selbstverwaltung zwecks Abstimmung und Koordinierung der Archivarbeit in Form einer mehrmals im Jahr stattfindenden „Archivleiterkonferenz der Thüringischen Staatsarchive“, die sich einen Sprecher bzw. Vorsitzenden als Vertreter und Ansprechpartner für die Ministerialebene wählte, der später vom zuständigen Fachministerium für die Vertretung Thüringens in der bundesweiten Archivreferentenkonferenz bevollmächtigt wurde. Es war dies zunächst ein aus der Not geborenes Vehikel, das sich aber für diesen Zweck bewährt hat. Diese ein Jahrzehnt nach Erlass des Thüringer Archivgesetzes einsetzende Entwicklung ist in der problemorientierten Studie von Lutz Schilling „Konzepte und Strukturwandel im Leitungsmanagement der Staatsarchive des Freistaates Thüringen nach der Konsolidierung in den [19]90er Jahren bis 2007“ eingehend geschildert worden. Enthalten in: „Ältestes bewahrt mit Treue, freundlich aufgefaßtes Neue“. Festschrift für Volker Wahl zum 65. Geburtstag. Herausgegeben im Auftrag des Thüringer Archivarverbandes. Rudolstadt 2008, S. 593-610.

Konterkarierend für die weitere Entwicklung des thüringischen Landesarchivwesens wäre aus meiner Sicht die nunmehr angegangene Umstrukturierung der Thüringischen Staatsarchive, die lediglich als Abteilungen eines Landesarchivs in einer einheitlichen Behörde verschmolzen werden sollen. Die halbherzige Beibehaltung des bisherigen Behördennamens und die Nichtaufgabe der Standorte können die Schwäche dieser Gesetzesinitiative nicht verdecken. Diese angestrebte zentralistische Struktur, wie sie das staatliche Archivwesen der DDR entwickelt hatte, war mit der Landesgründung 1990, dem Neuaufbau des Landesarchivwesens in Thüringen seit 1991 und der in den folgenden Jahren wiedergewonnenen wissenschaftlichen Leistungskraft überwunden worden. Ich habe seit 1990, seitdem ich den Thüringer Archivarverband mitbegründet und geführt habe und mir ab 26. November 1990 die kommissarische Leitung des damaligen Staatsarchivs in Weimar (seit 18. März 1991 Thüringisches Hauptstaatsarchiv) übertragen wurde, es immer beachtet und darauf Wert gelegt, dass die strukturelle Vielfalt dieses thüringischen Landesarchivwesens als Erbe der nach der Landesgründung 1920 aus den Archivverhältnissen fürstlicher Einzelstaaten erwachsenen neuen Archivlandschaft – und nach deren Niedergang unter den obwaltenden Verhältnissen einer zentralistischen Staatlichen Archivverwaltung in der DDR, den ich seit 1969 miterlebt hatte, – wieder zur Geltung gekommen ist und bis zum Ende meiner Amtszeit als Direktor des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar 2008 blieb.

Ich habe mich auch nach meiner Pensionierung für ein Weiterbestehen dieser Struktur ausgesprochen und mich am 12. März 2014, nachdem erste Diskussionen im Zusammenhang mit dem „Reformkonzept 2020“ aufgekommen waren, nunmehr „außer Dienst“ gegenüber meinen bisherigen Archivarkollegen eindeutig positioniert, dass ein „Landesarchiv Thüringen“ keine Zukunft haben soll und darf. Seinerzeit gab es zu dieser Problematik auch eine gemeinsame Stellungnahme des “Verbandes deutscher Archivarinnen und Archivare“ (vertreten durch die damalige Vorsitzende) zusammen mit dem Vorstand des Landesverbandes Thüringen vom 13. Januar 2014 (sie kann übrigens auf der Homepage des Landesverbandes nachgelesen werden: http://www.vda.lvthueringen.archiv.net/aktuelles.html ), die sich in der Spitze vor allem gegen die beabsichtigte Zusammenlegung der Archivverwaltung mit Denkmalpflege und Archäologie richtete. Diese Stellungnahme war in dieser Hinsicht sehr konkret, aber in der Aussage zu der damals auch schon geplanten Zusammenfassung der Staatsarchive zu einem Landesarchiv sehr schwammig formuliert. Sie ist doppeldeutig und kann sowohl positiv als „nachvollziehbar“ oder aber im Hinblick auf „hierdurch beabsichtigten Synergie-, sprich Einspareffekte“ als „ohnehin bereits realisiert“ auch negativ aufgefasst und interpretiert werden. Nach der Aussage der zuständigen Staatssekretärin hat sich der “Verband deutscher Archivarinnen und Archivare“ nunmehr lediglich die positive Interpretationsweise zu eigen gemacht, denn anders verstehe ich die in der Thüringischen Landeszeitung vom 6. April 2016 von ihr wiedergegebene Aussage vom „Bundesverband Deutscher Archivare“ nicht: „dass ‚Thüringen der Spagat gelingen wird, die regionale Kulturvielfalt und die regionale Identität vor Ort zu erhalten und gleichzeitig die Archiv-Verwaltung zu optimieren, die Effizienz zu steigern und für die digitale Technik zu rüsten‘, zitiert Winter.“ Vor zwei Jahren hieß es allerdings in der Stellungnahme der Vorsitzenden des „Verbandes deutscher Archivarinnen und Archivare“ und des Vorstandes des Landesverbandes Thüringen, dass auch ohne das Bestehen eines Landesarchiv „die hierdurch beabsichtigten Synergie-, sprich Einspareffekte, durch Organisationsänderungen sowie durch Auslagerung sachfremder Funktionen wie Liegenschaftsverwaltung ohnehin bereits realisiert“ sind.

Thüringen muss sich zudem keineswegs andere Bundesländer zum Vorbild nehmen, die mit der Schaffung eines Landesarchivs das Nivellieren ihrer Archivlandschaft beschritten und betrieben haben. Als am 22. Januar 1992 im Thüringer Landtag das „Thüringer Archivgesetz“ beschlossen wurde – ich habe es von der Landtagstribüne aus miterlebt und war stolz auf diesen historischen Moment in der traditionsreichen Archivgeschichte Thüringens, die fassbar mit der Erhebung Weimars zur Residenz des ernestinischen Herzogtums Sachsen 1547 ihren Anfang genommen hat – , meldete sich nach der Einbringungsrede des Ministers für Wissenschaft und Kunst in der Diskussion darüber als erster Abgeordneter Klaus Höpcke für die Fraktion Linke Liste-PDS und bekräftigte, dass auch in Thüringen gesetzliche Regelungen für Archivgut – „der Ort, die Art und Weise der Lagerung, die Erschließung sowie der Zugang und Umgang“ – notwendig seien. Ich zitiere aus seiner damaligen Rede jene Passage, in der er allerdings das gewöhnliche „Abkupfermuster“ monierte. „Was bringt da das ‚Thüringer Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut – das Thüringer Archivgesetz‘ an Lösungen? Spezifisch Thüringisches zeigt der Entwurf der Landesregierung nicht. Aufgeschrieben ist da etwas, was fast genauso für Sachsen und Baden-Württemberg zutrifft. [...] Was könnte sonst besonderes Thüringisches sein in diesem Gesetz? Thüringisch sollte sein, daß das Gesetz nicht alte Schwächen aus den Gesetzen anderer Länder unkritisch aufnimmt.“ (Protokolle des Thüringer Landtags, 1. Wahlperiode – 40. Sitzung, 22. Januar 1992, S. 2711)

Das sollte der nunmehrigen Regierungspartei "Die Linke", unter deren Verantwortung in der Staatskanzlei das Archivwesen ressortiert, ein Anstoß zum Nachdenken über eine kritische Abgeordnetenrede aus ihren Reihen vor fast einem Vierteljahrhundert sein. Also noch einmal: „Thüringisch sollte sein, daß das Gesetz nicht alte Schwächen aus den Gesetzen anderer Länder unkritisch aufnimmt.“ Sic! – hinter die noch heute gültige Aussage dieses Satzes des Linke Liste-Abgeordneten Klaus Höpcke. Die angestrebte Novellierung des Thüringer Archivgesetzes von 1992 zwecks Abänderung einer bewährten landesspezifischen Archivorganisation hat nach meiner Einschätzung heute auch nichts weiter zu bieten als ein „Abkupfermuster“ von einigen außerthüringischen Archivverwaltungen. Thüringisch ist seit dem Erlass des Thüringer Archivgesetzes von 1992 die Vielfalt des Landesarchivwesens in einer traditionellen Geschichtslandschaft mit ihren historisch gewachsenen Kulturräumen in der Verantwortung der Archivarinnen und Archivare vor Ort, die durchaus nicht zentral gesteuert und entmündigt werden müssen. Die angedachte neue Archivstruktur Thüringens ist in meinen Augen kein Fortschritt und legt den staatlichen Archiven mehr Fesseln an, als dass es sie für die zu lösenden Aufgaben befreit.

Es gibt allerdings auch ein altes Thüringer Leitungsmodell, das über die Auflösung der Länder 1952 hinweg bis zur DDR-Archivordnung von 1965 Geltung hatte, der 1926 eingeführte „Direktor der Thüringischen Staatsarchive“ (in Personalunion als Direktor des Thüringischen Staatsarchivs Weimar), zuletzt als Direktor des Thüringischen Landeshauptarchivs und der angeschlossenen Landesarchive, die unter seiner Oberleitung standen. Diese Form der Oberleitung für die Staatsarchive funktionierte aber nur, weil die Leiter der anderen Staats- bzw. Landesarchive zugleich als Beamte wissenschaftliche Archivare des Weimarer Archivs waren, hier ihren Dienstsitz hatten und seinem Direktor direkt unterstanden. In den Archiven vor Ort gab es geschäftsführende Archivare des mittleren Dienstes, die den täglichen Dienstbetrieb organisierten und überwachten. Ein solches Leitungsmanagement, das auch dem wenigen wissenschaftlichen Personal geschuldet war, wäre heute allerdings nicht mehr denkbar. Dieses Organisationsmodell wurde zudem obsolet, nachdem durch die Archivverordnung der DDR von 1965 das bisherige Landeshauptarchiv Weimar und die Landesarchive Rudolstadt und Meiningen unter der Bezeichnung Staatsarchiv voneinander separiert und faktisch zu „Bezirksarchiven“ für die DDR-Verwaltungsbezirke Erfurt, Gera und Suhl erklärt wurden. Dem Staatsarchiv Weimar wurden nunmehr die vormaligen Landesarchive Altenburg, Gotha und Greiz als Historische Staatsarchive unterstellt, die allerdings zuletzt nur noch als Außenstellen geführt wurden. Dieser Zustand wurde nach der Wiedergründung des Landes Thüringen 1990 überwunden und sollte nicht erneut, nunmehr in Form eines Landesarchivs, angestrebt werden.

Ich empfehle also keineswegs die Wiedereinführung des „Direktors der Thüringischen Staatsarchive“ in Personalunion mit dem Direktor des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar. Solche Vorstellungen habe ich während meiner Dienstzeit im Thüringischen Hauptstaatsarchiv von 1990 bis 2008 zu keiner Zeit an mich herankommen lassen und immer abgewiesen. Es ist allerdings nicht von der Hand zu weisen, dass übergeordnete Koordinierungs- und Vertretungsfunktionen für alle sechs Thüringischen Staatsarchive wahrzunehmen sind. Dafür ist jedoch nicht der Weg über ein zusammengelegtes Landesarchiv zu suchen. Angesichts der finanziellen Bedingungen des Landes sehe ich auch nicht, dass man nun eine archivfachliche Zentralbehörde zwischen Staatskanzlei/Ministerium und den Staatsarchiven schaffen sollte, in die koordinierende und zentral zu lösende Aufgaben verlagert werden und der die sechs Thüringischen Staatsarchive dann unterstehen würden. Das wurde schon 1990/91 mehr oder weniger als Illusion betrachtet.

Jedoch die Wiedereinführung eines ministeriellen Archivreferenten mit der Fachausbildung eines wissenschaftlichen Archivars als beaufsichtigende, anleitende und im archivfachlichen Diskurs mithaltende und mitgestaltende oberste Archivbehörde, wie das von 1991 bis 2002 der Fall gewesen ist, könnte bei Weiterführung der erprobten dezentralen Archivstruktur diesen Erfordernissen besser entsprechen und effektiver sein – auch was das Selbstwertgefühl der einzelnen Staatsarchive betrifft. Mein Fazit bei diesem Vorschlag – Alternativen: keine; Kosten: keine.

Weimar, den 9. April 2016 Staatsarchivdirektor a. D. Prof. Dr. Volker Wahl

01. April 2016 | Diethelm Offhauß
Klare Kompetenzzuweisungen

Wenn die bisherige lokale Nutzung sich nicht ändert, kann die Schaffung einer zentralen Stabsstelle mit wirklichen Entscheidungskompetenzen für alle Archive nicht schaden. Nur haben bisher Kooperationen nie Geld gespart.

01. April 2016 | Archivar
Inkonsequente Verwaltungsumgliederung

Einerseits sollen durch die Zusammenlegung der selbstständigen Staatsarchive Synergien entstehen, andererseits werden keine konkreten Kompetenzen des "Landesarchivs" und seiner künftigen "Abteilungen" benannt.

Zu fordern wäre hier entweder eine konsequente Weiterführung der dezentralen Verwaltungsstruktur (unter Beibehaltung der bisherigen Zusammenarbeit) oder aber die Schaffung einer staatlichen sogenannten Mittelbehörde zwischen den Staatsarchiven als Unterbehörde und dem Ministerium als Oberste Staatsbehörde (nach bayerischem Vorbild etwa, Einrichtung etwa einer "Generaldirektion der Staatlichen Archive Thüringens"), die klare Kompetenzen zugewiesen bekommt (Zentrale Beschaffung, fachliche Grundsatzkompetenzen in Bewertungs- und Erschließungsfragen usw.).
Im übrigen wäre auch dieser Name passender - Thüringen hat sich im Gegensatz zu den meisten "Ländern" den Namen "Freistaat" gegeben, der sich auch in den Behördenbezeichnungen wiederfinden sollte.

Kostensparend nach dem von der Landesregierung vorgelegten Entwurf wäre es nur, wenn einzelne künftige Abteilungen zusammengelegt oder geschlossen würden. Selbst wenn keine echte Mittelbehörde entstehen sollte, werden dennoch einige "Stabsstellen" inkl. Räumlichkeiten, techn. Ausstattung usw. um den Präsidenten "herum zu bauen sein", was wiederum Kosten verursachen wird.

Sehr schade, dass das Gesetz sonst nicht novelliert werden soll (z. B. wäre die Abschaffung der Schutzfristen in P. 17 Abs. 1 S. 1 ThürArchivG zeitgemäß und der Intention des öffentlichen Zugangs zu Verwaltungsunterlagen im ThürIFG entsprechend).